Offener Brief an den Bundeskanzler

Offener Brief an den Bundeskanzler 150 150 Eric Nussbaumer

Geschätzter Herr Bundeskanzler

Der Nebelspalter schreibt, Sie hätten jetzt eine Mission der Zusammenführung oder gar der Versöhnung zu erledigen. Sie müssten dem zerstrittenden Bundesrat einen Vorgehensvorschlag für die letzte Runde in Brüssel aufzeigen. Mein europäisches und schweizerisches Herz sagt mir – da will ich sie nicht alleine lassen. Darum schreibe ich Ihnen in diesem offenen Brief konkrete Ideen, wie man das anpacken könnte.

  1. Halten Sie Wort
    Das Wichtigste ist, halten sie Wort. Das ist eine Regel, die ich von meinen Eltern mitbekommen habe, die ich meinen Kindern mitgegeben habe und die mich im Leben noch nie in eine Sackgasse führte. Halten Sie Wort heisst, dass es beim Institutionellen Abkommen nur um Klarstellungen geht. Das hat der Bundesrat am 7. Juni 2019 in einem Schreiben an die EU-Kommission mitgeteilt:  «Institutionelles Abkommen Schweiz-EU: Der Bundesrat verlangt Klärungen» – so hiess der Titel der Medienmitteilung. Inzwischen haben viele dem Bundesrat zugerufen, nein, nein, diese drei Klärungen genügen nicht. Auf diese Rufer zu hören, wäre verheerend, weil sie dem Bundesrat dann Wortbruch empfehlen. Aber das wird in eine Sackgasse führen. Wer das Wort nicht hält, ist nicht zu Kompromissen fähig und verliert zu viel Vertrauen. In dem Sinne hat ja auch die EU-Kommission in unserem Land ein grosses Stück Vertrauen verloren, als sie uns die Börsenäquivalenz nicht gewährte. Aber machen Sie jetzt nicht den gleichen dummen Fehler.

  2. Es geht um Protokolle und Gemeinsame Erklärungen
    Der Vertragstext hat 22 Vertragsartikel, drei Protokolle und drei gemeinsame Erklärungen. Ich gehe mal davon aus, dass der Bundesrat uns nicht angelogen hatte, als er nach langer Konsultation feststellte, das Abkommen sei in weiten Teilen im Interesse des Landes. Wenn man diese Feststellung nicht widerrufen möchte, dann kann man sich nun in den Schlussrunden nur auf die Protokolle und auf gemeinsame Erklärungen konzentrieren. Falls unsere oberste Unterhändlerin tatsächlich den Auftrag hatte, den Vertrag noch einmal zu verhandeln, dann kann ich die andere Seite verstehen. Es scheint, dass unser Bundesrat sein Wort nicht hält. Das geht nicht.  Darum ist es nur möglich, die 22 Artikel des Vertrages anzunehmen, wie wir sie ja auch verhandelt haben. Der Vertragstext ist ok und erleichtert uns in Zukunft den Bilateralen Weg bei den Marktzugangsabkommen. Mit den Klarstellungen in den Protokollen und gemeinsamen Erklärungen wollen wir aber den Vertrag perfektionieren und für die demokratische Auseinandersetzung festigen.
  3. Protokoll 1 zum Lohnschutz muss man verhandeln
    In allen Unterlagen können wir nachlesen, dass das Protokoll 1 zum Lohnschutz nur ein «Vorschlag der EU» sei. Das ist – wenn auch hier Wort gehalten wurde – also noch nicht verhandelt. Es ist klar, die Lösung wäre ganz schlecht, wenn man in einem Staatsvertrag solche Bestimmungen aufnehmen müsste, die gar nie verhandelt wurden. Darum muss das Protokoll 1 als verhandeltes Protokoll aus den Klarstellungen hervorgehen. Die bekannte Ziffer 2 mit all den Anpassungen bei den Flankierenden Massnahmen ist dilettantisch und hat nichts mehr mit einer allgemeinen Bezugnahme auf die revidierte Entsenderichtlinie zu tun. Die Schweiz hält Wort und wird ihre Flankierenden Massnahmen immer in Bezugnahme auf die Entsenderichtlinie von 1996 und neu auch auf die Richtlinie 2014 und 2018 ausrichten. Alles andere wäre Wortbruch und ein Stück weit auch FZA-Vertragsbruch: Detailbestimmungen brauchen beide Vertragsparteien nicht, aber ein unverhandeltes Protokoll 1 geht sowieso nicht. Es wäre nicht im Geiste der europäischen Zusammengehörigkeit entstanden, sondern ein Diktat der EU-Kommission.
  4. Gemeinsame Erklärung zur UBRL und den Beihilfen
    Die Beihilfen konnten schon fast gelöst werden, aber es ist gut, wenn man in einer gemeinsamen Erklärung noch einmal festhält, dass der Bereich der Beihilfen immer nur pro Marktzugangsabkommen verhandelt wird und es hier keine Blind-Übernahme von EU-Richtlinien gibt.

    Am Kompliziertesten ist die UBRL. Und zwar nicht wegen der Europäischen Union, sondern wegen uns. Als die Europäische Union uns vor 10 Jahren fragte, ob wir bereit wären, über die UBRL zu verhandeln, haben wir stolz abgelehnt. Leider haben wir uns auch in diesen zehn Jahren nicht bewegt und stehen jetzt etwas im Regen. Natürlich können wir uns als Nichtmitgliedsland nicht eine andere Einwanderungs- und Niederlassungspolitik aufzwingen lassen. Denn wir haben uns für eine Reise- und Arbeitsmarkt-Freizügigkeit eingesetzt und verteidigen sie auch. Das sollten wir so beibehalten und fortführen. Aber wir sollten auch nicht so dumm sein, zu meinen, wir müssten nicht alle EU-Länder bei der Niederlassungsbewilligung nicht gleich zu behandeln. Oder warum darf ein Hochschulstudent nicht in der Schweiz studieren, wenn er nicht aus wohlhabenden Verhältnissen kommt? Es gibt also auch hier Ansätze für einen Kompromiss (Ja liebe EU – hier brauchen wir einen Kompromiss), für einen gemeinsamen nächsten Schritt, den wir in der Schweiz autonom in den nächsten Jahren in unseren Gesetzen umsetzen könnten. Wir sollten das Mögliche und das Menschliche anbieten, weil es am Schluss in unserem Interesse ist.
  5. Und eine Gemeinsame Erklärung zur Stärkung der Schweiz-EU Kooperation obendrauf
    Die Schlussrunden sollten jetzt aber auch dazu genutzt werden, dass wir Klarheit schaffen bei der Kooperation. Eine MoU zur Kooperation zwischen der Schweiz und der Europäischen Union ist das richtige Abschlussdokument. Darin würde es heissen:
    – Die EU gewährt die Börsenäquivalenz
    – Die Schweiz gewährt (endlich) den zweiten Erweiterungsbeitrag
    – Die Schweiz und die EU vereinbaren die Teilnahme in den Kooperationsprogrammen Horizon Europe, Digital Europe, EURATOM, ITER und Erasmus+. Für weitere Programme kann die Schweiz im Laufe der Periode 2021-2027 die Assoziierung beantragen. Es wären Creative Europe und wahrscheinlich auch das Weltraumprogramm.

    Und zu guter Letzt: Ja es wäre dann auch möglich, dass wir mit neuen Verhandlungen über Marktzugänge verhandeln – wenn die Schweiz und der Bundesrat will.

Geschätzter Herr Bundeskanzler, sie haben eine schwierige Aufgabe bekommen. Aber Sie erkennen Strukturen, Möglichkeiten, Szenarien. So kenne ich Sie. Ich vertraue Ihnen. Viel Glück – Halten Sie für unser Land Wort.

Eric Nussbaumer, Nationalrat