Grundversorgung und gemeinwirtschaftliche Leistungen im europäischen Strommarkt

Grundversorgung und gemeinwirtschaftliche Leistungen im europäischen Strommarkt 150 150 Eric Nussbaumer

In der Schweiz wird wieder einmal etwas wirr über den wettbewerblichen Strommarkt Europas debattiert. Manchmal ist es daher gut, wenn man die Rechtsgrundlagen der EU etwas genauer anschaut und dann feststellen darf, dass alles was politisch links verlangt wird, bereits im EU Recht vorhanden ist. Die Umsetzung muss aber natürlich im einzelnen Staat korrekt gemacht werden – auch in der Schweiz.

Grundversorgung
Die Grundversorgung ist ein Konzept, das sich in wettbewerblich organisierten Märkten durchgesetzt hat. Der «Service universel» wird denn auch konsequent im EU-Recht sichtbar. Der Dienstleister, der den «Service universel» zu leisten hat, wird regulatorisch dazu verpflichtet (universal service obligation, Grundversorgungsverpflichtung) und in einem korrekten Regulierungsansatz wird für diese Verpflichtung natürlich auch die langfristige Finanzierung und damit auch die Kosten des Grundversorgungsangebots  geregelt. Auch der wettbewerblich organisierte europäische Strommarkt kennt eine Gewährleistungspflicht für die Grundversorgung. In allen Staaten Europas gilt Art. 27 der EU-Richtlinie 2019/944 über den Strombinnenmarkt. Dort heisst es: «Die Mitgliedstaaten gewährleisten, dass alle Haushaltskunden und, soweit die Mitgliedstaaten es für angezeigt halten, Kleinunternehmen in ihrem Hoheitsgebiet über eine Grundversorgung verfügen, d.h. das Recht auf Versorgung mit Elektrizität einer bestimmten Qualität zu wettbewerbsfähigen, leicht und eindeutig vergleichbaren, transparenten und diskriminierungsfreien Preisen haben.» Wie das umgesetzt wird, ist Sache der Mitgliedstaaten. Aber richtig ist, die EU kennt eine zu gewährende Grundversorgung für Haushaltkunden und Kleinunternehmen. Es gibt kein Argument, dass man diese Pflicht nicht auch in der Schweiz mit einer regulierten Grundversorgung umsetzen kann.

Gemeinwirtschaftliche Leistungen
Nahe bei der Grundversorgungsverpflichtung ist eine zweite  Verpflichtung an alle Marktakteure, nämlich spezifische gemeinwirtschaftliche Leistungen zu erbringen. Auch hier ist die EU-Richtlinie klar: Ein wettbewerblich organisierter Markt schliesst auch nach EU-Recht nicht aus, dass Akteuren im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegende gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen (Obligations de service public) auferlegt werden können. In Artikel 9 der oben erwähnten Richtlinie werden denn auch mögliche gemeinwirtschaftliche Verpflichtungsbereiche erwähnt. Namentlich sind dies die Sicherheit, die Versorgungssicherheit, die Regelmässigkeit, Qualität und der Preis, der Umweltschutz, einschliesslich Energieeffizienz sowie die Energie aus Erneuerbaren Quellen und Klimaschutz. Dass dabei keine Diskriminierungen gegenüber einzelnen Marktakteure eintreten sollen, ist dem wettbewerblichen Grundgedanken des europäischen Marktdesigns geschuldet. Transparenz und Gleichbehandlung bei auferlegten Verpflichtungen ist daher zwingend. Aber eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung aufzuerlegen ist auch hier Sache der einzelstaatlichen Regulierung. Was kurz und bündig heisst: Auch mit einem Stromabkommen Schweiz-EU können die schweizerischen Akteure der Energieversorgung zu einer  gemeinwirtschaftlichen Aufgabenerfüllung (z.B. Umsetzung eines Energieeffizienzprogrammes bei allen Kunden) verpflichtet werden.

Kurzum: Der wettbewerbliche Strommarkt ist eine europäische Realität, die Schweiz kann sich dem nicht entziehen. Wenn die Schweiz im 2024 ein Stromabkommen abschliessen will, dann muss sie ihre Teilabschottung der Haushaltkunden bis 100’000 kWh überwinden. Aber sie kann problemlos eine wettbewerbliche Marktordnung mit regulierter Grundversorgung und gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen durchsetzen: Ein sicherer Strommarkt mit ökologischen Leitplanken ist möglich. Entschieden wird diese Nachhaltigkeits-Regulierung zum Elektrizitätsmarkt aber nicht in Brüssel, sondern in Bern.