Klare Ansagen statt Stossrichtungen

Klare Ansagen statt Stossrichtungen 150 150 Eric Nussbaumer

Der Bundesrat hat am 25. Februar 2022 seine «Stossrichtungen» für die Deblockierung in der Europapolitik bekannt gegeben. Zwei Tage nach der russischen Kriegserklärung gegen die Werte der Demokratie, der Freiheit und der europäischen Zusammengehörigkeit. «Stossrichtungen» ist ein ungünstiges Wort in diesen Zeiten, schlimmer aber ist, dass es keine klaren Ansagen sind.

Der Bundesrat wurstelt in der Europapolitik munter weiter. Ohne klare Ansagen lässt sich aber die Blockierung im Verhältnis Schweiz-EU nicht aufheben. Die Ansagen der europäischen Seite sind seit November des letzten Jahres auf dem Tisch. In einer Antwort auf die schriftliche Anfrage des Europaabgeordneten Andreas Schieder (S&D Fraktion) wurden sie am 25. März 2022 vom Kommissionsvizepräsidenten Maroš Šefčovič bestätigt. Es braucht zur Deblockierung a) einen funktionierenden Streitbeilegungsmechanismus, b) eine dynamische Angleichung an das EU-Recht, c) gleiche Wettbewerbsbedingungen ( zB bei Beihilfen) und d) regelmässige Zahlungen zur EU-Kohäsionspolitik

Der Bundesrat könnte auf diese klaren EU-Ansagen auch klare Zielsetzungen formulieren und dann ebenso mit Transparenz und Klarheit in Brüssel vorsprechen. Wie das aussehen könnte? So:

Der funktionierende Streitbeilegungsmechanismus möchten wir für alle Binnenmarktabkommen mit Ausnahme des Freizügigkeitsabkommens (FZA) gemäss dem Entwurf des Institutionellen Rahmenabkommens übernehmen. Eine bessere Lösung hat noch niemand skizziert oder seit dem Abbruch der Verhandlungen zum InstA offensiv vertreten. Darum übernehmen wir den verhandelten fairen Streitbeilegungsmechanismus mit Ausgleichsmassnahmenoption für die Binnenmarktabkommen.
Beim Freizügigkeitsabkommen brauchen wir wegen der Grundsatzopposition der Gewerkschaften gegen eine gerichtliche Lösung beim Entsendewesen eine funktionierende politische Streitbeilegung. Hier wären wir bereit eine Lösung mit einem ministeriellen Ausschuss wie beim Schengen-Assoziierungsvertrag einzugehen. Der ministerielle Ausschuss könnte ausschliesslich für die Streitbelegung im Entsendewesen zuständig sein. Käme es zu einem Streit über die Anwendung der Bestimmungen zum Entsendewesen, so wird die Angelegenheit offiziell als Streitigkeit auf die Tagesordnung des auf Ministerebene tagende Ausschusses gesetzt. Dann wird die Streitigkeit innert 120 Tagen endgültig politisch beigelegt. Finden die Parteien keine politische Lösung zur Streitigkeit, dann wird eine neue Endschaftsklausel die Beendigung des Freizügigkeitsabkommen innert sechs Monaten einleiten. Ich bin sicher, diese politische Streitbeilegung würde funktionieren – wie sie auch beim Schengen-Assoziierungsvertrag funktionieren würde. FZA und Schengen-Assoziierungsvertrag sind ja eigentlich Zwillinge. Es ist daher naheliegend, den funktionierenden politischen Streitbeilegungsmechanismus des Schengen-Assoziierungsvertrages auf das Entsendewesen im FZA auszudehnen. Liebe EU – das meinte der Bundesrat mit seiner Wunsch zum politischen Dialog…er will eine politische Streitbeilegung beim FZA/Entsendewesen.

Die dynamische Rechtsangleichung an das EU-Recht wird exakt gemäss Institutionellem Rahmenabkommen statt horizontal nun vertikal vollzogen. Soweit es noch einmal Sonderlösungen in der Form von Schutzklauseln oder anderen Opt-Out-Regeln braucht, dann werden sie jetzt verhandelt. Der Bundesrat liefert die zu verhandelnden Ausnahme-Punkte innert 90 Tagen. Er weiss sie hoffentlich. Er weiss hoffentlich, was er will.

Die gleichen Wettbewerbsbedingungen waren bereits bei der Verhandlung zum InstA ein Thema und die Vertragsparteien kamen überein, dass diese Fragen zukünftig sektoriell ( dh. pro Binnenmarktabkommen) verhandelt werden würden. Mit der bundesrätlichen Ausweitung auf ein Vertragspaket inklusive Stromabkommen ist es die alleinige Aufgabe des Bundesrates klar darzulegen, ob er in diesem Bereich eine vom europäischen Recht abweichende Lösung will. Dass er nach all den Monaten das immer noch nicht formulieren kann, zeigt die ganze Schwäche der bundesrätlichen und der von den Kantonsregierungen mitgetragenen Europapolitik. Klarheit wäre aber hier die Voraussetzung für eine ernsthafte Strategie «Vertragspaket».

Bleibt noch die regemässige und faire Zahlung zur europäischen Kohäsionspolitik. Dazu hat der Bundesrat bereits Grundlagen erarbeitet. In einem Gutachten hat alt-Staatssekretär Ambühl die Summe von 330 Mio. Franken pro Jahr als fair bezeichnet. Dieses Angebot sollte schon lange in Brüssel vorgelegt werden. Und die Verstetigung ist sowieso klar – was die EWR-Staaten seit Jahren leisten, zeigt deutlich, dass dieses zögerliche Abseitsstehen des Bundesrates nicht mehr goutiert wird.

Stossrichtungen genügen schon lange nicht mehr. Die EU will verbindliche Abmachungen erreichen. Mit der Absage zum InstA und der verzögerten Bearbeitung des Bundesrates sind die Stossrichtungen vollends aus der Zeit gefallen. Jetzt hilft für die rasche Deblockierung nur noch die klare und verhandelbare Ansage. Nach der Abstimmung über die Frontex-Verordnung wird es wieder ein Zeitfenster geben. Wenn der Bundesrat dann wieder nicht handelt, dann schadet er definitiv unserem Land, dann will er die Blockade beibehalten und unserer Anerkennung in der europäischen Staatengemeinschaft sausen lassen. Es bräuchte dringend klare Ansagen. Unverbindliche Stossrichtungen genügen nicht, sie genügten in der Europapolitik noch nie.