Über all die Jahre der politischen Mitwirkung habe ich die grundlegenden Prinzipien der freiheitlich demokratischen Grundordnungen schätzen gelernt. Auch die Formulierung in unserer Bundesverfassung, dass der Zweck der Schweizerischen Eidgenossenschaft darin besteht die Freiheit und die Rechte des Volkes zu schützen, bringt es auf den Punkt: Freiheit und Demokratie sind unzertrennliche Zwillinge. Ich bin dankbar, in einer solchen Ordnung leben zu dürfen.
Mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine (aber zB auch schon mit dem innerstaatlichen Sturm auf das Capitol in den USA), wird die Frage der Verteidigung jeder freiheitlich demokratischen Ordnung wieder in unser Bewusstsein katapultiert: Es ist keine geschenkte und «automatische» Ordnung, sie muss gegen Diktatoren und Tyrannen – gegen alle Verächter der Demokratie – verteidigt werden.
Freiheit und Demokratie verteidigen – wie geht das?
Wer in diesem «Krieg gegen Freiheit und Demokratie» diese Frage stellt, fragt mich für eine sicherheitspolitische (um nicht zu sagen eine zu kurz gegriffene militärische) Antwort.
Manfred Messmer fragte so:
1. Gilt die gemeinsame Verantwortung für die Freiheit Europas in schweren Zeiten auch für die Verteidigung? Oder klammerst Du Eric diese Frage aus?
2. Wie hältst Du es mit dem F35?
Gemeinsame Verantwortung verlangt von allen einen grossen Beitrag
Meine Antwort beginnt vor dem Moment, wo Demokratie und Freiheit kriegerisch unter Druck geraten. Sie beginnt bei der politischen Bildung und bei der Demokratiebildung. Wir versäumen seit Jahren die zentrale Aufgabe der politischen Bildung. Ich meine damit nicht dieser plumpe Staatskundeunterricht, wo der Unterschied zwischen Exekutive und Legislative erklärt wird. Ich meine die pluralistische Auseinandersetzung über Werte, Weltbilder und Lösungsansätze zur Bewältigung von gesellschaftlichen Fragestellungen. Die schweizerische Direkte Demokratie lebt zwar davon, dass sie alle drei Monate dank den Abstimmungen eine bisschen «Learning by doing – Politische Bildung hat. Aber es ist halt meist nur eine Parolen-Verkündigung. Tiefere Auseinandersetzungen lassen diese Abstimmungen nicht zu. Darum sind wir auch in allen komplexeren Themen schlecht aufgestellt: Europa, Souveränität und Neutralität in einer vernetzten Welt, Moderne Friedenspolitik, Klimapolitik, zeitgerechte Sicherheitspolitik. Diese Lehre sollten wir zuerst ziehen: Ohne bessere Demokratiebildung wird es immer wieder Leute geben, welche Freiheit und Demokratie bedrohen wollen – weil wir zufrieden vor uns hindösen.
Nun ist der Krieg gegen unsere Ideen und Werte da. Die Frage nach der gemeinsamen Verantwortung scheint mir einfach beantwortbar: Wenn es eine gemeinsame Verantwortung für Freiheit und Demokratie gibt, dann gibt es auch eine gemeinsame Verantwortung, dies zu verteidigen: Ich klammere das sicher nicht aus und finde auch den Rückzug in die nationale Wagenburg (wir haben sowieso die beste Demokratie und das Nationale ist das Mass aller Dinge) falsch. Aber nicht alle, die gemeinsam verteidigen wollen, müssen exakt das Gleiche tun. In dem Sinne sehe ich für die Schweiz schon eine andere Rolle als Nicht-Nato-Land. Neutral heisst für mich aber nicht, den Aggressor nicht zu benennen. Die Schweiz muss vollumfänglich die europäischen Wirtschaftssanktionen übernehmen und sie muss mehr tun im Bereich Schutzmateriallieferung, im Bereich der humanitären Hilfe und im Bereich der europäischen Kohäsion und Resilienz. Wenn wir in Kriegen nicht intervenieren, dann müssen wir in anderen Bereichen der nicht-kriegerischen Intervention mehr machen. Viel mehr. Das ist für mich gemeinsame Verteidigung. Mehr ist auch für die Schweiz möglich. Auch jetzt.
Fliegertypus und unsere Verfassung
Die technische F35-Frage auf Verfassungsebene ist für mich in diesem Zusammenhang nicht so relevant. Sie war und sie bleibt ein Fauxpas der direktdemokratischen Möglichkeiten. Es ist keine ausserordentliche Leistung unserer direktdemokratischen Möglichkeiten, wenn nach einem knapp verlorenen Referendum, die Verfassung dafür benutzt wird, einen bestimmten Flugzeugtyp bis 2040 als «nicht-käuflich» in der Verfassung zu verankern. Diese Idee fand ich verfassungsrechtlich von Anfang an abwegig. Der Jet mag für die luftpolizeilichen Aufgaben unseres Landes der Falsche sein – Argumente gibt es sicher genug. Aber die Verfassung würde ich dennoch nicht dafür beanspruchen, dieses Typus-Verbot hineinzuschreiben, wenn sich die Schweiz nicht gleichzeitig dazu verpflichtet, mehr im Bereich der gemeinsamen Verteidigung von Demokratie, Menschrechte und Freiheit zu leisten. Es wäre sicher sinnvoll, wenn man die zusätzliche «Verteidigungsmöglichkeit» für Freiheit und Demokratie in die Verfassung schreiben würde: Zum Beispiel eben auch mehr Verbindlichkeit in der Europäischen Zusammengehörigkeit: Die Schweiz braucht viel dringender einen Rahmenvertrag zur Assoziierung oder zur Mitgliedschaft am grossen europäischen Projekt. Und mit den anderen EU-Neutralen wäre dann viel mehr möglich. Das wäre verfassungsrelevant. Das wäre relevant für uns alle.
Es gibt nur eine gemeinsame Freiheit! Über all die Jahre habe ich die Freiheit, die Demokratie und eben auch die Verfassung schätzen gelernt. Und ich habe auch gelernt, dass wir in allen politischen Feldern nur in verbindlicher grenzüberschreitender Zusammenarbeit weiterkommen. Diese Alleingang-Mentalität ist unser Problem. Sie versperrt uns den Blick für das Gemeinsame und für die gemeinsame Verantwortung. Die Zeitenwende kann uns den Blick öffnen. Rasch. Es ist dringend.
Eric Nussbaumer, 13. März 2022