Nach den Bauklötzen die Mengenlehre – auch dieser Vergleich ist falsch

Nach den Bauklötzen die Mengenlehre – auch dieser Vergleich ist falsch 2560 1707 Eric Nussbaumer

Hundert Tage nach seinem Amtsantritt hatte Aussenminister Cassis versucht, das Rahmenabkommen mit Bauklötzen zu erklären. Das Bild funktionierte nicht. Seit ein paar Tagen versucht er es nun mit Mengenlehre. Europapolitik sei das Finden der Schnittmenge zwischen der EU und der Schweiz. Auch dieser Vergleich ist falsch und wird nicht weiterhelfen. Es wäre besser, wenn Bundesräte und Bundesrätinnen bei der faktenorientierten Einordnung bleiben und endlich sagen, worum es wirklich geht.

Es geht um Binnenmarktteilnahme

In der Neujahrsarena hatte ich noch Hoffnung geschöpft, denn der Bundespräsident sagte zweimal, der Bundesrat wisse schon was er wolle, nämlich die Binnenmarktteilnahme. Immerhin habe ich mir gedacht, wenigstens das. Wenigstens kein Geschwurbel mit «Bilaterale weiterführen» und «unsere Interessen vertreten». Die Binnenmarktteilnahme ist denn auch für die Schweiz eine wirtschaftspolitische Notwendigkeit und das wichtigste Ziel der Europapolitik. Denn der grenzüberschreitende EU-Binnenmarkt (der uns geographisch umgibt) ist ein Rechtsraum, in dem zur Erleichterung der grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten die Hemmnisse von einzelstaatlichen Regulierungen abgebaut werden, bzw. harmonisiert werden. Die Schweiz will da teilhaben durch Teilnahme. Das können der Abbau von technischen Handelshemmnisse sein (MRA-Abkommen), die grenzüberschreitende berufliche Tätigkeit (GrenzgängerInnen, Freizügigkeitsabkommen), die Nutzung von harmonisierter Verkehrswege (Alpenquerender Verkehr Landverkehrsabkommen) oder die Lebensmittelsicherheit (Landwirtschaftsabkommen). Die Schweiz hat das grosse Interesse, dass dieser EU-Regulierungsrahmen auch für die Schweiz gilt: Beim Import und beim Export. Das ist Wirtschaftspolitik für den Standort Schweiz und das ist ArbeitnehmerInnenpolitik, damit die Jobs in unserem Land sind und nicht irgendwo in Europa.

Es geht um sektorielle Binnenmarktteilnahme
Genau genommen, wollen wir aber nicht die umfassende Binnenmarktteilnahme. Sonst würden wir die Mitgliedschaft im EWR – Europäischer Wirtschaftsraum, anstreben. Es gibt in der schweizersichen Politik ein Verständnis das besagt, dass wir nur die sektorielle Binnenmarktteilnahme wollen. Also nur in einzelnen Bereichen. Wir nennen das bilaterale Verträge und viele glauben, das sei ein Verhandlungserfolg der Schweiz. In Tat und Wahrheit ist es ein Entgegenkommen der EU nach dem EWR-Nein. Dieses Entgegenkommen, dass ein Drittstaat auch nur sektoriell am Binnenmarkt teilnehmen kann, ist heute noch nicht in Frage gestellt. Aber es hat ein einziges Problem: Die Weiterentwicklung des Rechtsrahmens muss auch sektoriell geregelt sein. In der ganzen Diskussion mit der EU seit 2008 geht es denn auch nur um die Frage, wie die sektorielle Binnenmarktteilnahme ausgestaltet werden muss, damit sie fair ist gegenüber den Mitgliedsstaaten der EU und den umfassend assoziierten Mitgliedsstaaten im EWR. Es geht also nicht um Schnittmengen zwischen der Schweizersichen Agenda und der europäischen Agenda. Es geht darum, wie wir den Binnenmarkt-Rechtsrahmen sektoriell für unsere Interessen nutzen können, bzw. wie dies unserem Land von der EU gewährt wird. Wie eine sektorielle Teilnahme möglich ist, sagen die Länder, welche den Binnenmarkt als Mitgliedre des Clubs schaffen und weiterentwickeln.

Es geht um sektorielle Binnenmarkt-Assoziierung

Die EU ist seit Jahren klar. Das faire Modell für Drittstaaten ist denn auch im Vertrag über die Arbeitsweise der EU im Artikel 217 grob umrissen: Wer mit der EU zusammenarbeiten will, schliesst einen Assoziierungsvertrag mit beidseitigen Rechten und Pflichten ab. Der Bundesrat weiss das auch. So hat er im Schlussbericht zum Rahmenabkommen geschrieben, das das institutionelle Abkommen ja auch Assoziierungsvertrag genannt wurde. Die Schweiz hatte ein verhandeltes Angebot für einen Asssozierungsvertrag für die fünf sektoriellen Marktzugangsabkommen. Die Option für weitere sektorielle Marktzugänge oder Marktteilnahmen war auch enthalten. Der Bundesrat hat dieses einzigartige Angebot ohne neuen Plan verworfen.

Das Geschwätz von der Schnittmenge sofort stoppen
Der Bundesrat sucht aktuell seinen neuen Weg und einen neuen Plan nach diesem Abbruchentscheid. Er sucht schon Monate, er habe sich noch nicht entschieden. Er tut dem Land damit keinen Gefallen. Mir ist es eigentlich auch egal, wie der Plan aussieht, aber ich würde dem Aussenminister noch mitgeben, dass es sicher nicht um mengentheoretische Schnittmengen geht. Es geht um Assoziierungverträge mit Rechten und Pflichten! Es geht um sektorielle Binnenmarkt-Assoziierung mit Rechten und Pflichten! Genauso wie beim Schengen-Assoziierungsabkommen, genauso wie beim Dublin-Assoziierungsabkommen, genauso wie bei den vielfältigen Assoziierungsabkommen zur Teilnahme als Drittland an EU-Programmen im Bereich Forschung, Bildung und Innovation (Horizon Europe, Erasmus+). Die Schweiz macht mit der EU Assoziierungsverträge – alles andere ist Geschwurbel. Das Schnittmengen-Bild bleibt so falsch wie das Bauklötzli-Bild.