Q & A zur europapolitischen Roadmap der SP Schweiz

Q & A zur europapolitischen Roadmap der SP Schweiz 1280 738 Eric Nussbaumer

Die SP Schweiz hat am 22. Dezember 2021 ihre europapolitische Roadmap präsentiert. Die Factsheets findest Du hier. Untenstehend noch ein paar Fragen und Antworten, damit Du Dich rasch zurecht findest.

Question: Warum braucht es eine europapolitische Roadmap?
Answer: Der Bundesrat hat am 26. Mai 2021 die Verhandlungen zu einem institutionellen Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Union nach rund acht Jahren mit Gesprächen und Verhandlungen einseitig abgebrochen. Die Europäische Union vertritt die Meinung, dass es nun an der Schweiz liege, darzulegen, wie sie das Verhältnis Schweiz-Europäische Union mit den über 120 Bilateralen Verträgen in die Zukunft führen wolle. Die Parteien waren sich bis zum einseitigen Abbruch einig, dass der Bilaterale Weg konsolidiert und zukunftsfähig gemacht werden sollte. Dazu müssten sogenannt institutionelle Fragen geklärt und vertraglich geregelt werden. Mit der Roadmap wird somit dargelegt, was die Schweiz erreichen will, wie sie es erreichen will und bis wann. Es handelt sich also um eine strategische Roadmap mit Meilensteinen bzw. Zwischenzielen.

Q: Warum hat die SP Schweiz eine Roadmap präsentiert?
A: Nach dem Abbruch der Verhandlungen vom Frühjahr hat sich der Bilaterale Weg schlecht entwickelt. Es besteht inzwischen eine Dringlichkeit, Klarheit zu schaffen. Inzwischen kann sogar von einer Blockade oder Sackgasse in der Beziehung der beiden Vertragsparteien gesprochen werden. So kann die Schweiz als eines der letzten Drittländer aktuell noch nicht am EU-Forschungsprogramm Horizon Europe für die Jahre 2021-2027 assoziiert werden oder bestehende Marktzugangsabkommen werden nicht mehr aufdatiert. Neue Marktzugangsabkommen werden seit Jahren keine mehr abgeschlossen. Diese Blockade zeigt, dass der Bilaterale Weg im bisherigen Sinne an sein Ende gekommen ist. Die SP Schweiz zeigt mit ihrer Roadmap auf pragmatische Weise auf, wie sich diese schädliche europapolitische Situation rasch verbessern könnte.

Q: Was ist der Kern der SP-Roadmap
A: Kern der SP -Roadmap ist eine Vertragsabfolge von einem befristeten «Stabilisierungsabkommen Schweiz-EU» zu einem unbefristeten «Wirtschafts- und Kooperationsabkommen Schweiz-EU». In dem auf 5 Jahre befristeten Stabilisierungsabkommen (längstens bis 31.12.2027) werden zuerst die Fragen geklärt, welche seit Jahren einer Lösung bedürfen oder in der laufenden Periode des langfristigen EU-Haushalts 2021-2027 bedeutend sind. Gleichzeitig wird im Stabilisierungsabkommen die beidseitige Bereitschaft zur Verhandlung eines unbefristeten «Wirtschafts- und Kooperationsabkommens» von den Parteien vereinbart.

Q: Was gehört inhaltlich zum Stabilisierungsabkommen?
Das befristete Abkommen bringt für beide Parteien kleine Lösungsschritte, welche das Vertrauen wieder herstellen können. Die EU erwartet von der Schweiz seit etwa zehn Jahren einen höheren Kohäsionsbeitrag zur Beseitigung der sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede in der EU. Wir sollten hier ein deutliches Zeichen geben und unsere Verpflichtung erhöhen. Gleichzeitig kann die EU dann aber auch die Schweiz bei den Forschungs- Bildungs- und Innovationsprogrammen der EU assoziieren. Diese Assoziierung dauert sowieso nur bis Ende 2027. Und der dritte Punkt ist die vertragliche Absicht beider Parteien, ein Verhandlung zu einem Wirtschafts- und Kooperationspaket aufzunehmen und darin auch institutionelle Fragen zu klären. Sobald wir das unbefristete Wirtschafts- und Kooperationsabkommen und weitere Verträge des Paketes abgeschlossen haben, wir das Stabilisierungsabkommen aufgelöst. Das Verhältnis hat dann seine Zukunftsfähigkeit erreicht.

Q: Könnte das Stabilisierungsabkommen auch die offenen Fragen der Stromversorgungssicherheit aufnehmen?
A: Ja, auch solche Fragen könnten in einem ersten klärenden Schritt aufgenommen werden. Aber natürlich wird es kein Strommarktabkommen sein. Aber eine technische Vereinbarung, maximal befristet bis 2027, auch das wäre möglich.

Q: Ist eine solche Befristung eines Vertrags eine erstmaliger Schritt in der Beziehung zwischen der Schweiz und der EU?
A; Nein, natürlich nicht. Als wir 1992 vor den schwierigen Fragen des alpenquerenden Transitverkehrs standen, hat die Schweiz auch zuerst ein auf 12 Jahre befristetes Transitabkommen abgeschlossen und dann in dieser Zeit alle innenpolitischen Entscheide (inkl. Volksabstimmungen!)  zur NEAT gefällt. Das war aber im Transitabkommen auch so vorgesehen. Es ist nicht so, dass wir die NEAT ohne vertragliche Verpflichtung mit der EU entschieden haben. Aber mit den innenpolitischen Entscheiden war es dann möglich das unbefristete Landverkehrsabkommen abzuschliessen. Das Vorgehen ist also bereits vor 30  Jahren – in einer ebenso schwierigen Frage – gewählt worden.

Q: Und wie soll das neue Wirtschafts- und Kooperationsabkommen aussehen?
Wichtig ist, dass wir uns für einen Weg mit der EU einigen. Darum muss das Ziel vertraglich abgemacht werden. An den institutionellen Fragen (Streitbeilegung, Aufdatierungsmechanik der Verträge) kommt man nicht vorbei, wenn man den bisherigen Weg des sektoriellen Marktzugangs weitergehen möchte. Das sollte man aber mit allen anderen aufgestauten Fragen der europäischen Integration verhandeln. Die Schweiz hat ein Gesundheitsabkommen fast fertig verhandelt, ebenso ein Elektrizitätsabkommen oder auch den Marktzugang für die Kreativwirtschaft (Film & Kunst). Wir sollten ein ganzes Paket erarbeiten und dann auch so der Bevölkerung vorlegen. Einige nennen das die Bilateralen III. Das ist nur halb richtig, denn mit dem Wirtschafts- und Kooperationsabkommen entscheiden wir uns für eine dynamische sektorielle Binnenmarktassoziierung. Das wäre ein stabiler Weg für die Schweiz, etwas weniger umfassend als der EWR, aber natürlich ohne alle die demokratischen Elemente, welche nur eine EU-Mitgliedschaft bringen würde.

Q: Und was ist, wenn wir das bis 2027 nicht schaffen?
A: Man kann das schaffen, weil es schrittweise erfolgt und nicht im Geheimen stattfindet. Zuerst geht es um Stabilität in der Beziehung, nachher um Zukunftsfähigkeit. Wenn am Schluss der Verhandlungen das Paket wieder verworfen würde, dann stünden wir etwa da, wo wir heute stehen. Das will niemand mehr und daher bin ich zuversichtlich, dass wir es demokratisch gut hinkriegen.

Q: Und was hat das erwähnte Europagesetz noch mit der Roadmap zu tun?
A. Das ist wichtig, um die innenpolitische Zielsetzung zu festigen. Man kann nicht immer nur den Bundesrat verhandeln lassen und dann am Ende des Tages und nach Jahren der Verhandlung den ausgehandelten Vertrag annehmen oder verwerfen. Wir sollten zuerst in einem Gesetz festlegen, was der Bundesrat zu erreichen hat. Leitlinien und Eckpunkte erleichtern die Verhandlungen. Dann ist zusätzlich diese legislative Basis bereits dem Referendum unterstellt und es kann ein erstes Mal direktdemokratisch entschieden werden. Das ist das eigentliche «Deblockierungs-Referendum.»

Q: Und die schwierigen Fragen Lohnschutz, Freizügigkeitsrichtlinie und Beihilfen – schweigt sich die Roadmap dazu aus?
A: Ja, sie schweigt sich aus, aber das heisst nicht, dass man dazu keine Lösung finden kann. Bereits in der Schlussphase des Rahmenabkommens gab es Lösungsansätze mit Schutzklauseln bei der Freizügigkeitsrichtlinie (UBRL) oder auch gemeinsame Auslegungsinstrumente zum Lohnschutz. Man muss es einfach besser angehen als das letzte Mal, als die nicht verhandelten Lösungen, quasi als unumstössliche „Lösungen“ dargestellt wurde. Lösungen gibt es aber nur, wenn es verhandelte Lösungen beider Parteien sind. Und die Schweiz und die EU müssen sich immer fragen, wer denn gewinnt, wenn sie keine gemeinsame Lösung und keine gemeinsame Perspektive hinkriegen.