25. November 2021, von Eric Nussbaumer
Seit dem Abbruch der Verhandlungen zum Rahmenabkommen zwischen der Schweiz und der EU versinkt der Bundesrat in der Untätigkeit. Sechs Monate sind bereits vergangen und noch immer wird vom Bundesrat verkündet, man wolle dem «Hamsterrad der Hektik» im Europadossier entfliehen. Nach sechs Monaten ist diese Aussage nicht mehr sachgerecht. Zu viel steht auf dem Spiel. Doch erste Korrekturen sind möglich.
Erosionsbeobachtung statt zukunftsfähige Binnenmarktteilnahme
Bis zum Ende der Verhandlungen über das Rahmenabkommen war die Zielsetzung des Bundesrates klar. Er wollte den Bilateralen Weg mit seinen über 100 Verträgen konsolidieren und zukunftsfähig machen. Mit dem Abbruch erlebte diese Zielsetzung einen stillen (nicht demokratischen) Tod. Die neue «Zielsetzung» heisst jetzt, dass wir es so handlaben wollen wie immer schon. Die Schweiz «hofft» auf neue Abkommen und auch auf neue Aufdatierungen von bestehenden Verträgen. Diese Hoffnung wird sich nicht erfüllen. Die verschobene Wahrnehmung des Bundesrates passt nicht mehr in die Zeit. Es ist der Traum von vergangenen Zeiten, als man den Bilateralen Weg als sektorielle Binnenmarktteilnahme entwickeln und prägen konnte. Statt der Bevölkerung zu sagen, was auf dem Spiel steht, lässt der Bundesrat das Dossier schleifen. Darum passiert, was alle Kennerinnen und Kenner des Europadossier seit Jahren gesagt haben: Die bilateralen Verträge erodieren. Bereits verloren haben wir den freien Warenverkehr bei den Medizinalprodukten. Weitere Produktegruppen werden folgen. Die Binnenmarktteilnahme werden wir ohne Klärung der institutionellen Fragen nicht mehr zukunftsfähig gestalten können. Von neuen sektoriellen Verträgen müssen wir gar nicht mehr reden
Keine Verhandlungsmöglichkeit, keine Kooperationen
Tragisch ist, dass wir neben dem Binnenmarktzugang nun auch noch den Zugang zu den europäischen Kooperationsprogrammen noch nicht erreichen konnten. Nachdem wir seit 1987 eine Forschungskooperation mit den europäischen Staaten kennen, geht jetzt gar nichts mehr. Wir haben uns verrannt. Jetzt wird auch noch der Forschungsstandort geschwächt. In dieser Situation der verschlossenen Türen beim Binnenmarktzugang und bei den Kooperationsprogrammen, muss man sich entscheiden. Was kann noch erreicht werden? Wie gesagt, die institutionellen Fragen werden nicht so leicht wieder zu klären sein. Diese Türe bleibt verschlossen. Die einzige Türe, die noch geöffnet werden kann, ist die Türe zur Forschungskooperation.
Lösungsorientierter Ansatz der Aussenpolitischen Kommission
Das hat die Aussenpolitische Kommission des Nationalrates verstanden und auch festgehalten, dass diese Türe bis spätestens im ersten Halbjahr 2022 geöffnet werden muss, weil das siebenjährige europäische Forschungsprogramm jetzt gestartet wird. Seit zehn Jahren ist auch klar, dass von der Schweiz ein grösserer Beitrag zur Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede in Europa erwartet wird. Wir sollten dies jetzt auch leisten und deutlich machen, dass wir in der Kooperation und Kohäsionspolitik zu 100% verlässliche Partner sind. Die Erhöhung der Kohäsionsleistung ist denn auch nicht rausgeschmissenes Geld, es ist auch kein Kuhhandel. Es ist die einfache Darstellung einer schweizerischen Verbindlichkeit, welche eine andere Verbindlichkeit sehr rasch ermöglicht: Die assoziierte Teilnahme am Forschungs- und Bildungsraum Europas. Die Verdoppelung der Kohäsionsleistung kann das Parlament im Dezember beschliessen. Wer Ja sagt, drückt clever die Türe auf, wer Nein sagt, zerstört nach dem Nein zum Rahmenabkommen nun definitiv auch die europäische Kooperation. Wer aber bereit ist, eine gemeinsame Roadmap für die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU zu gestalten, der sollte den ersten Meilenstein nicht verpassen. Wer den ersten Meilenstein verpasst, findet wohl nicht mehr so schnell auf die gemeinsame Strasse zurück. Wir sollten den bundesrätlichen Abbruch-Spielereien ein Ende setzen.