Mehr Lokalwirtschaft, mehr sozial-solidarische Wirtschaft

Mehr Lokalwirtschaft, mehr sozial-solidarische Wirtschaft 1000 666 Eric Nussbaumer
Besuch im Genossenschaftsbuchladen Rapunzel in Liestal mit Bundesrätin Simonetta Sommaruga.

In diesen Tagen reflektiert manch einer über das globalisierte Wirtschaftssystem. Wird das nach der Corona-Krise mit dem Globalisierungswahn so weitergehen, oder gelingt uns eine bessere Mischung zwischen globalisierten Ansätzen und der lokalen, sozial-solidarischen Wirtschaftsweise? Die SP zeigt erste Wege auf und konkretisiert damit die lange verhöhnte Debatte um mehr «Wirtschaftsdemokratie».

1. Die globalisierte Wirtschaft fairer gestalten
Die Gestaltung der globalen Wertschöpfungsketten zur Profitmaximierung waren die Treiber der letzten Jahre. Sie werden es sicher auch nach der Krise sein. Die Informations- und Kommunikationstechnologien werden nicht zurückgehen und die von allen eingeforderte Digitalisierungsanstrengung wird es ermöglichen, dass noch mehr Informationen und Wissen über Dienstleistungen und Produkte rund um den Globus verfügbar sein werden. In «Realtime» weiss ich, was, wann und wo produziert oder angeboten wird. Die mittleren und grossen Wirtschaftsakteure werden diese Informationen weiterhin für die Gestaltung ihrer «supply chain» nutzen.

Zwei Entwicklungen machen wir aber Hoffnung, dass die globalisierte Wirtschaft schrittweise fairer gestaltet werde kann: Erstens wird die Transparenz- und Verantwortungsfrage von Unternehmen gesellschaftlich immer heftiger eingefordert. In der Schweiz ist es die Debatte um die Konzernverantwortungsinitiative, die hier klar ein Wandel für eine faire Globalisierung einfordert. Zweitens müssen alle internationalen Wirtschaftsabkommen viel mehr Regulierungen berücksichtigen, die im Bereich der Nachhaltigkeitsziele der UNO anzusiedeln sind. Kurzum, es wird keinen Vollstopp der globalisierten Wirtschaft geben, aber die Zeichen für mehr Fairness und Transparenz im globalen Handel stehen gut. Die Zukunft wird stärker in regional integrierten und überschaubaren Märkten sein.

2. Unser Binnenmarkt ist der europäische Binnenmarkt
Alle wollen nach der Krise ihre nationalen Märkte wieder in Schuss bringen. Nationalstaatliche Konjunkturprogramme werden überall gefordert. Christian Levrat, Präsident der SP Schweiz in der Nachspielzeit, hat an der Pressekonferenz der SP von Mitte April 2020 dies richtig eingeordnet: «Machen wir uns nichts vor, unser Binnenmarkt ist der europäische Binnenmarkt.» Die Schweiz ist eine starke kleine Volkswirtschaft, aber sie ist eine Exportnation. Unsere Wirtschaftsleistung hängt von der Leistungsfähigkeit anderer Volkswirtschaften ab. Darum muss unsere Wirtschaftspolitik immer europäisch sein. Der europäische Binnenmarkt ist ein regional integrierter Markt, der für sich selber und geopolitisch kraftvoll genug ist. Nach der Krise müssen wir näher an diesen Markt ran, stärker uns da hineingeben. Die anderen Länder werden den Wiederaufbau des europäischen Binnenmarktes nicht für uns bewerkstelligen.

3. Die Stimulierung der Lokalwirtschaft ist eine  lokalpolitische Aufgabe
Die Lokalwirtschaft stärken, die  l’économie de proximité will die SP Schweiz nach der Krise mit «Gutscheinen» voranbringen. Das ist eigentlich die Ausgabe einer Lokalwährung, die rasch wieder im Wirtschaftskreislauf umgetauscht werden kann. Es ist sicher viel besser, als nichtgebundenes Helikoptergeld. Nach einem Lockdown ist es eine gute Idee, die lokale Wirtschaft im Gastronomiebereich  oder im kleinen, lokalen Detailhandel zu stimulieren. Der Gewerbeverband müsste innerlich jubeln, auch wenn sie es nicht gerne zeigen können: Die SP ist auf der Seite der Kleinunternehmen. Genauso wichtig ist es aber für die SP zu erkennen, dass die Stärkung der Lokalwirtschaft eben nicht zwingend eine Bundesaufgabe ist. Unser Gemeinwesen könnten auf kantonaler und kommunaler Ebene viel mehr lokale Wirtschaftsförderung anstossen. Allzu oft schlafen alle vor sich hin und beklagen das «Lädelisterben» oder die Schliessung der letzten «Beiz» im Dorf. Der Kanton Neuenburg hat vor etwas mehr als einem Jahr bereits eine Ausschreibung zur Förderung der l’économie de proximité lanciert. Andere Kantone und Gemeinden sollten folgen. Sie wären auch international keine Exoten.

4. OECD und EU starten neuen Impuls für sozial-solidarische Wirtschaft
Denn mitten im Lockdown habe ich an einem Webinar der OECD zu einem globalen Aktionsprogramm zur Stärkung der sozial-solidarischen Wirtschaft (Social and solidarity economy SSE) teilgenommen. Das dreijährige Programm wird von der EU unterstützt. Es gibt somit zwei internationale Strömungen, die sich anbahnen: eine fairere und verantwortungsvollere Globalisierung und ein neues Verständnis des Wirtschaftens. In der SSE wird die Logik der Profitmaximierung viel stärker hinterfragt und bei allen unternehmerischen Entscheiden nach dem gesellschaftlichen Impact, nach der Wirkung gefragt. Im Herbst wird die EU die erste europäische Konferenz zur Social Economy abhalten, natürlich unter der Leitung eines SP-Kommissars. Die Soziademokratie hat dazu immer wieder unter dem Stichwort der «Wirtschaftsdemokratie» Grundlagenarbeit geliefert. Es war nicht umsonst, die Arbeiten bekommen eine internationale Dynamik.

Daneben entstehen überall neue konkrete unternehmerische Modelle, die unter dem Label «Social Entrepreneurship» weltweit an Bedeutung zunehmen. Es sind Unternehmen, die für die Gesellschaft etwas unternehmen, nicht für die Profitlogik. Sie versuchen eine gesellschaftliche Herausforderung im sozialen, kulturellen oder ökologischen Bereich als verantwortliche, gemeinschaftsorientierte Unternehmen zu lösen. Die Schweiz hätte diese Tradition mit den vielfältigen Genossenschaftsunternehmen auch – man müsste sie nur wiederbeleben und im öffentlichen Diskurs neu darstellen.

5. Das SECO schläft und ist auf dem SSE-Auge komplett blind
Leider sind alle diese Entwicklungen im Staatssekretariat für Wirtschaft SECO noch nicht so richtig angekommen. In jedem Freihandelsvertrag müssen wir mühsam die Inklusion von Nachhaltigkeits- und Verantwortungszielen einfordern. Immerhin wird in den neusten Wirtschaftsabkommen wenigstens der Kompetenzaufbau im Partnerland thematisiert. Aber es ist sehr, sehr wenig, was hier im Wirtschaftsdepartement entsteht. Betreffend der globalen Entwicklung und Förderung der sozial-solidarischen Wirtschaftsweise, besteht absolute Blindheit, obwohl das UNO-Kompetenzzentrum für SSE seinen Sitz in Genf hat: UN Inter-Agency Task Force on Social and Solidarity Economy (TFSSE)  Die Schweiz könnte eine weltweite Impulsgeberin werden, wenn man die Augen im SECO öffnen würde.

6. Partizipation und Mitwirkung ist die stärkste Krisenabwehr
Was die Krise zeigt ist auch, dass ohne gelebte Partizipation und Mitwirkung keine Resultate erzielt werden können. Der Bundesrat schwankt zwischen «wir hoffen, dass die Leute mitmachen» und dem Lobeslied « zum Glück haben sie mitgemacht». Die Exekutive hat ein gutes Mass an Vertrauen, weil sie es vor der Krise aufgebaut hat. Aber sie muss immer daran arbeiten. Denn was diese Erfahrung lehrt, ist , dass man Partizipation und Mitwirkung immer leben und erleben muss, dann wird es auch in der Krise funktionieren. Unternehmen, die nur für sich schauen, werden in der Krise keine solidarische Gesellschaftsantwort bekommen. Unternehmen, die eine demokratische Mitwirkungskultur in ihrem Unternehmen praktizieren, werden auch nicht von ihren Mitarbeitenden durch die Krise getragen. Die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen bekommt in der Krise seine Antwort. War vorher von dieser «Corporate social Responsibility» nichts zu spüren, dann kann und wird die demokratische Gesellschaft auch wenig zurückgeben. Solidarität und funktionierende Demokratie in Gesellschaft und Betrieben fallen nicht einfach vom Himmel, sie werden über Jahre geformt oder vernachlässigt.

Manager und Politiker sollten zu all diesen Punkten ein Seminar abhalten, bevor sie nach Covid-19 wieder zur Tagesordnung übergehen.

Nationalrat Eric Nussbaumer ist auch Präsident von CooperativeSuisse, der Plattform für Sozialunternehmertum.