Europapolitisches Unvermögen

Europapolitisches Unvermögen Eric Nussbaumer

Nach all den europapolitischen Klausuren ist eines klar: Der Bundesrat weiss wirklich nicht, ob er den Bilateralen Weg erhalten und erneuern will. Denn wenn er das wollte, dann würde er nicht eine ergebnislose Klausursitzung nach der andern zum Verhältnis Schweiz—EU abhalten. Das europapolitische Unvermögen unseres Bundesrates ist regelmässig mit Händen zu greifen. Alt-Bundesrat Pascal Couchepin muss inzwischen dieses Bundesratshandeln ins richtige Licht rücken. Der Bundesrat habe das Rahmenabkommen nicht mit der notwendigen Ernsthaftigkeit vorangetrieben, so Couchepin.

Und er hat Recht. Denn die Sachlage in der Beziehung Schweiz-EU ist ja auch schon seit Jahren klar. Es gibt für unser Land nur drei verlässliche Zugangswege, zum europäischen, also die nationalen Grenzen überragenden, Binnenmarkt. Erstens EU-Mitgliedschaft, Zweitens EWR-Beitritt oder drittens einen auf einzelne Sektoren begrenzten Zugang zum Binnenmarkt. Letzteres ist der Bilaterale Weg der Schweiz. Wir haben vertraglich einen sektoriell erleichterten Zugang zu diesem europäischen Binnenmarkt erreicht. Das ist gut für unsere Importe und es ist auch gut für unsere Exporte. Dass dieser Zugang zum EU-Binnenmarkt bei den geltenden Rechtsakten dynamisiert werden muss ist für jeden vernünftigen Menschen nachvollziehbar. Das Binnenmarktrecht der EU bleibt – wie auch das Schweizer Recht – nicht statisch, es entwickelt sich. Während die ersten zwei Wege bereits dynamisiert sind, ist der Sonderfall Schweiz mit dem sektoriellen Zugang nicht dynamisiert. Wer den Bilateralen Weg als Königsweg preist, sollte sich daher auch für die Dynamisierung und die Rechtsfortschreibung der bestehenden Abkommen einsetzen. Nur mit der Dynamisierung kann man den Bilateralen Weg erhalten. Macht man das nicht, werden die bestehenden Abkommen erodieren und die Erleichterungselemente werden über die Jahre an Bedeutung verlieren. Den Bilateralen Weg nicht zu dynamisieren ist gleichbedeutend mit dem Bestreben, Handelshemmnisse wieder entstehen zu lassen, statt sie abzubauen.

Mehr Ernsthaftigkeit
Nun tut der Bundesrat so, und neuerdings auch die Kantone, wie wenn es noch weitere Alternativen gäbe. Bundesrat Cassis sagt frohgemut den Stammtisch-Satz «Wenn es klappt, klappt es, wenn es nicht klappt, klappt es nicht» und die Konferenz der Kantone plaudern zum dynamisierenden Rahmenabkommen ungefähr so: „Wir wollen den Marktzugang, aber nicht um jeden Preis.“ Wer solche Sprüche klopft, müsste eigentlich auch wissen, was es denn für Alternativen gäbe, wenn der Bilaterale Weg nicht erneuert und dynamisiert werden kann, wenn es also nicht klappt. Genau hier ist aber der Hund begraben: Die Schweiz hat momentan gar keine politische Alternative mehr. Jonas Projer hat in der SRF-Präsidialarena im Januar 2018 die Frage ganz päzise auch dem Bundespräsidenten Alain Berset gestellt: „Was wäre konkret die Alternative zu den Bilateralen?“ Berset konnte keine Alternative benennen, weil ja der Bundesart die Optionen EU-Mitgliedschaft oder EWR schon vor Jahren angstvoll verworfen hat. Es gibt für unser Land heute nur noch die Option Bilateraler Weg erneuern und mit einem Rahmenabkommen fortführen. Ein Scheitern des Rahmenabkommens in den laufenden Verhandlungen oder in einer Volksabstimmung wäre das Ende eines rechtlich stabilen und eines zukunftsfähigen bilateralen Weges mit der Europäischen Union. Das Rahmenabkommen ist endlich mit mehr Ernsthaftigkeit vom Bundesrat anzustreben. Und wir hätten dieses Jahr eine einmalige Chance, denn auch auf der EU-Seite ist das Abkommen Chefsache geworden. Vorerst aber ist das Dossier im Bundesrat noch regelmässig ein wichtiges Traktandum bei Klausursitzungen. Ergebnisse oder klare politische Zielsetzungen gibt es aber keine. So auch diese Woche. Der Bundesrat verharrt seit Monaten im europapolitischen Unvermögen.

zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 24.2.2018