Im aktuellen Wahlkampf ist eine europapolitische Oberflächlichkeit eklatant. Alle – ausser die SVP – wollen die Bilateralen retten. Auch bei uns in der SP heisst es „Prioritär sei die Rettung der bilateralen Verträge.“ Was muss man hier retten und was heisst das eigentlich genau? Die Oberflächlichkeit dieser weit verbreiteten Politiker-Floskel muss genauer angeschaut werden.
Bilaterales Vertragswerk ist seit Jahren in der Sackgasse
Das Bilaterale Vertragswerk war eine Erfolgsgeschichte, weil es uns ermöglichte mit der EU interessante Wirtschaftsabkommen abzuschliessen. Wir sicherten uns elementare Rechte und Pflichten der europäischen Integration und den Binnenmarktzugang über ein Vertragswerk, aber ohne Mitgliedschaft in der EU. Wir sind das Land mit einem EU-Verhältnis à la carte. Weil unser Land mit dem wichtigsten Handelspartner (die 28 Mitgliedsstaaten der EU) solche Abkommen abschliessen konnte, schauen wir auch auf eine erfreuliche wirtschaftliche Entwicklung zurück. Möglich waren solche à la carte Verträge, weil in unserer Aussenpolitik der EU-Beitritt bis 2007 eine mögliche Option war. Darum konnten wir diese Brücke „Bilaterale Verträge“ bauen.
Den bilateralen Status Quo kann man nicht retten
Die Brücke „Bilaterale“ haben wir seit 2007 sukzessive zerstört, indem der Bundesrat und alle politischen Parteien, den EU-Beitritt nicht mehr innert ein paar Jahren in Betracht ziehen. Die EU hat umgehend reagiert und verlangt richtigerweise, dass bei dieser permanenten „ à la carte- Europapolitik“ vor dem Abschluss neuer bilateraler Verträge verschiedene Fragen geklärt werden müssen. Dazu gehört auch die Frage, wie wir einen Streit beilegen, wenn wir uns nicht einig sind in der Rechtsanwendung eines Vertrages. Und noch viel wichtiger ist die Frage, wie wir mit einem sich weiterentwickelnden EU-Recht die Verträge anpassen. Es braucht eine Dynamisierung, einen institutionellen Rahmen des bilateralen Vertragswerks, wenn unser Land sich langfristig so aufstellen will.
Bilaterale retten heisst, die EU-Passivmitgliedschaft ausbauen
Man kann es drehen wie man will; wer die Bilateralen retten will, muss das Bilaterale Vertragswerk erneuern und für einen weiteren Integrationsschritt mit der EU einstehen. Der FDP-Satz Bilaterale JA, EU-Beitritt Nein, verkennt, was man wirklich an EU-Integration machen muss, damit man ein dynamisches Vertragswerk Schweiz-EU erreicht. Die zu tätigenden Schritte sind mehr als eine Rettungsaktion, es sind konkrete Integrationsschritte ohne Gestaltungsrechte, ohne Mitgliedschaftsrechte. Wer die Bilateralen retten will steht für eine eigentliche EU-Passivmitgliedschaft. Wie sehen die konkreten Schritte aus? Zuerst muss geklärt werden, ob man das Personenfreizügigkeitsabkommen im Kern modifizieren kann. Sieht heute gar nicht danach aus. Dann kommt die Aufnahme von Kroatien in das (modifizierte oder unveränderte) Personenfreizügigkeitsabkommen. Dann braucht es den Abschluss eines institutionellen Rahmenabkommens, damit in Zukunft neue bilaterale Wirtschaftsabkommen (z.B. Stromabkommen) überhaupt abschlussreif werden. Ich habe den Eindruck, dass nicht alle, die heute die Bilateralen retten wollen, wirklich bereit sind, einen weiteren passiven Integrationsschritt auch zu unterstützen. Darum ist die Wahlkampffloskel Bilaterale retten eigentlich nicht wirklich hilfreich. Es ist eine Floskel, die bis zum 18. Oktober hilft, nachher muss Klartext geredet werden.
Ich bin lieber demokratischer Mitgestalter
Unser Verhältnis mit der EU ist brüchig geworden. Ich stehe dafür ein, dass es richtig repariert wird. Das geht nur mit einer EU-Beitrittsperspektive. Wir können uns entscheiden, ob wir die Passivmitgliedschaft in der EU mit einem institutionellen Rahmen für Jahre festschreiben, oder ob wir aktiv die europäische Integration vorantreiben und das europäische Recht mit demokratischen Mitteln mitgestalten. Ich bin lieber demokratischer Mitgestalter und Aktivmitglied. Der Bilaterale Weg bleibt der zweitbeste Weg.