Nach zwei vorweihnachtlichen Tagen in Strasbourg mit der EFTA-Delegation und nach Gesprächen mit RepräsentantInnen der EU zeichnet sich eines immer deutlicher ab: Unser Land ist für die Friedensmacht Europa und die 28 EU-Mitgliedsstaaten immer schwieriger zu verstehen. Weil wir so ganz alleine entscheiden wollen und um jeden Preis die Früchte der wirtschaftlichen Integration nicht teilen wollen, versteht man uns bald nicht mehr. Statt einem vorweihnachtlichen „Fürchtet Euch nicht“ lautet die europäische Empfehlung heute eher „Fürchtet Euch!“
Es geht dabei in keiner Weise um die Furcht vor den uns allen fair und gut gesinnten EU-Mitgliedsstaaten. Es geht vielmehr um eine Botschaft zur Vorsicht: „Fürchtet Euch“ vor Eurer eigenen Unvorsichtigkeit, bestehende Verträge mit der EU nicht einhalten zu wollen, nicht im europäischen Integrationsprozess voranschreiten zu wollen und damit den ungehinderten Zugang zum europäischen Binnenmarkt zu verbauen!
Der Bruch vom 9. Februar
Seit dem 9. Februar 2014 besteht in der Schweiz die Hoffnung, man könne mit der EU über eine Anpassung des bestehenden Freizügigkeitsabkommens verhandeln. Das wird wohl nicht gelingen, die Stellungnahmen der EU für eine spezifische Ausnahme mit Inländervorrang und Quoten für ein Nicht-Mitgliedsland sind seit Monaten klar und deutlich.
Das neue „Fürchtet Euch“ bezieht sich in der neusten Minister-Stellungnahme auf unser Verhalten gegenüber dem EU-Mitgliedsland Kroatien. Im langen Protokoll-Anhang halten die Minister fest, dass eine Verletzung der Stillhalteklausel, dazu führen kann, dass die EU das Freizügigkeitsabkommen als gegenstandslos betrachten könnte. Die Stillhalteklausel im Freizügigkeitsabkommen untersagt nämlich den Vertragsparteien, nach Abschluss des Vertrages neue Beschränkungen für Staatsbürger der andern Vertragspartei einzuführen.
Nun – seit dem 9. Februar 2014 praktizieren wir aber die neuen Beschränkungen gegenüber Kroatien ganz unbeschwert: Kroatien wird von der Schweiz nicht gleich behandelt wie die die anderen EU-Mitgliedsstaaten. Wir verweigern den Kroaten die Aufnahme in das Freizügigkeitsabkommen Schweiz-EU und wissen noch nicht, wann und wie wir sie aufnehmen wollen.
Wer nach allen Verlautbarungen am Ende dieses Jahres noch 1+1 zusammenzählen kann, der weiss, dass wir diese Frage vor Weihnachten 2016, also spätestens in zwei Jahren geregelt haben müssen. Nehmen wir Kroatien nicht in das Abkommen über die Freizügigkeit auf, dann ist ab 1. Januar 2017 keine vollassoziierte Teilnahme am europäischen Forschungsprogramm mehr möglich. Auch den einfachen Studentenaustausch werden wir streichen müssen. Verstehen kann das niemand, darum die Botschaft: Fürchtet Euch, wenn Ihr bis Ende 2016 die Diskriminierung gegenüber Kroatien nicht aufgebt, dann fühlen wir uns von der EU auch nicht mehr an das Freizügigkeitsabkommen gebunden. Wollte die Mehrheit am 9. Februar 2014 diesen Weg einschlagen?
Die Lösung geht nur über die Repositionierung bei der Freizügigkeit
Was ich mir fürs neue Jahr wünsche? Dass in der Schweizer Politik endlich europäische Vernunft einkehrt und der Zugang zum europäischen Binnenmarkt und zur europäischen Integration nicht mit innenpolitischem Starrsinn und Überheblichkeit aufs Spiel gesetzt wird. Zuerst müssen wir vernünftigerweise Kroatien in das Freizügigkeitsabkommen aufnehmen, weil wir uns vertraglich dazu verpflichtet haben. Danach können wir vielleicht über das Abkommen verhandeln. Aber ein Land diskriminieren und lauthals die Verhandlung verlangen – nein – das kann man nicht verstehen. Die Stillhalteklausel im Freizügigkeitsabkommen (genehmigt in einer Volksabstimmung!) ist nicht weniger hoch zu gewichten als eine neue Verfassungsbestimmung. Das „Fürchtet Euch“ und die damit angesprochene Gefahr der Zerstörung des bilateralen Vertragswerkes muss mit einem politischen Entscheid in der Schweiz beseitigt werden. Man wird uns erst wieder verstehen, wenn wir uns als fairer Partner im bestehenden Bilateralen Vertragswerk repositionieren.