1. Augustrede 2014 in Frenkendorf
Es ist gut, miteinander den ersten August zu feiern. Es ist der Tag, an dem wir über unsere Geschichte, unser Identität und unser Zusammenleben in unserem Dorf, in der Eidgenossenschaft – und vielleicht auch in Europa – nachdenken. Die Erinnerung, die Reflektion über das Vergangene ist ein wichtiger Teil des 1. Augustes. Aber nur in Nostalgie schwelgen hilft selten für die Herausforderungen, denen wir uns in der Welt von heute stellen müssen. Darum will ich in drei Punkten zurückschauen, aber mit diesen Punkten auch unsere Zukunft ansprechen. Denn der 1. August ist viel mehr der Tag der Zukunft, denn der Vergangenheit.
I.
Ich fange bei einem Meilenstein vor 160 Jahren an, im Jahre 1854. Vor 160 Jahren wurde in unserm Dorf mit der Eröffnung der Eisenbahnlinie ein neuer Bezugspunkt gesetzt. Wie hat diese neue Station – sie hiess zuerst ganz offiziell Niederschönthal – unsere Dorfentwicklung geprägt? Und wie wurde diese neue Infrastruktur damals aufgenommen? Jedenfalls wurde dieser Infrastrukturbau zu einem Meilenstein in der Dorfentwicklung. Neu-Frenkendorf wäre wahrscheinlich ohne diese Station nicht entstanden. Die Rheinstrasse wäre noch mehrere Jahre alleine in der Ebene unbedeutend geblieben, denn die Verbindung übers Erli nach Pratteln war damals viel wichtiger. Was vor 160 Jahren unser Dorf verändert hat, könnte jetzt auch das neue Tunnel der H2 bewirken. Wir könnten mit dem Kanton Baselland eine neue Rheinstrasse bauen, die städtebaulich Frenkendorf und unser Nachbardorf Füllinsdorf wieder in einer guten Weise verbindet und gestaltet. Doch wir wollen nicht. Auch der Gemeinderat zögert. Ich sage Ihnen das an dieser 1. Augustfeier offen und ehrlich. Ich glaube, dass wenn wir bei der Rheinstrass nicht vehement die Umgestaltung fordern, wir einen Fehler begehen. Wer neue Infrastrukturbauten nicht nutzt um die gestalterische Dorfentwicklung zu beleben, der macht einen Fehler. Wir sollten uns stärker dafür einsetzen, dass die uralte Rheinstrasse für die Zukunft gestaltet wird. Wenn Einzelne glauben, eine schlecht unterhaltene Infrastruktur bringe für die Zukunft etwas, dann irren sie. Das sollten wir im Rückblick auf den Eisenbahnbau für Heute lernen: Vor 160 Jahren wurde die neue Infrastruktur noch als Chance für Frenkendorf wahrgenommen. Und übrigens, an dem Bau der Schweizer Centralbahn von damals hat sich der junge Kanton Baselland und der Kanton Basel-Stadt beteiligt.
II.
Das führt mich zum zweiten Punkt, über den sich heute Abend ein Nachdenken lohnt. Jede Entwicklung in unserem Tal entstand, wenn sich Gemeinwesen zusammentaten und kooperativ etwas Neues anstrebten. Das war beim Eisenbahnbau so, das war in jüngster Zeit beim Bau des Tunnels H2 so. Nicht das „wir können es besser alleine“ bringt uns voran, sondern das aktive Zusammengehen. Manchmal muss man mit den Nachbarn aus Füllinsndorf zusammenrücken, manchmal mit dem anderen Kanton. Ich bin 1988 nach Frenkendorf gekommen. Ich habe schnell gelernt, dass man gegenüber Füllinsdorf etwas reserviert sein sollte, obwohl meine Grossmutter ja aus Füllinsdorf kam. Ich habe auch gelernt, dass man immer skeptisch gegen Basel-Stadt sein sollte. Wenn ich aber die Meilensteine in der Entwicklung von Frenkendorf anschaue, dann merke ich, es sind die kooperativen Momente, die uns weiterbrachten. Schulkooperationen, Feuerwehrfusionen, Zivilschutzkooperation. Wasserversorgungskooperation. Es ist nicht das Trennende, das ein Gemeinwesen stark macht, sondern das Verbindende. Darum heisst unser Land Eidgenossenschaft, weil wir rasch gelernt haben, dass das Zusammenstehen, das gegenseitige Unterstützen uns allen mehr bringt als der Satz „jeder soll doch selber schauen“.
Sie wissen es, ich finde eine stärkere Kooperation von Frenkendorf und Füllinsdorf würde im Interesse der Bürgerinnen und Bürger sein. Auch eine stärkere Kooperation zwischen den historisch getrennten, aber eigentlich zusammengehörenden Kantonen Basel-Land und Basel-Stadt wäre im Interesse der zukünftigen Entwicklung in unserer Region. Ja, Ein Basel, wär ein Meilenstein in der Schweizer Geschichte. Ein Meilenstein, der wunderbar zu unserem Land passt. Unser Land ist nicht stark und eigenständig geblieben, weil es das Trennende der Kantone jahrzehntelang betont hat. Wir sind eine Eidgenossenschaft, welche das Verbindende, das Zusammengehörende sucht. Wenn Kantonstrennungen Teil unserer Geschichte sind, dann heisst das nicht, dass das Trennende uns in die Zukunft trägt. Das Verbindende trägt ein Gemeinwesen, nicht das Trennende.
III.
Das war auch vor 100 Jahren so. Und damit zum dritte Reflektionspunkt. Als in Europa die Nationen glaubten, man müsse das Trennende zwischen den Nationen klären, entstand der erste Weltkrieg. Als einzelne Nationen glaubten, sie seien besser als andere, folgt auf die nationalistische Überhöhung, Herablassung und Feindseligkeit gegenüber anderen Nationen, der Krieg. Der erste Weltkrieg hat auch unsere Region beeinflusst und unser Land verändert. Die Bindung an die Kantone war damals in unserem Land noch viel stärker als die Verbundenheit mit der modernen Eidgenossenschaft. Es war damals erst 70 Jahre her, dass in der Schweiz der letzte Bürgerkrieg (Sonderbundskrieg) ausgefochten wurde. Man feierte vor 100 Jahren – als in Europa der Krieg ausbrach – erst etwas mehr als 20 Jahre lang den 1. August als Nationalfeiertag. Damals hat Carl Spitteler das Verbindende den Schweizerinnen und Schweizer in Erinnerung gerufen. Er lehnte sich gegen den Stimmungsgegensatz zwischen den Romands und den Deutschschweizern auf. Die gesamtschweizerische Identität war noch eine ganz zarte Pflanze. Und heute? Hat Europa bereist wieder zu viel vergessen? Hat auch die Schweiz zu viel vergessen? Wenn man in die Welt der letzten Wochen schaut, dann könnte man es meinen. Kriege breiten sich aus, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Auch in Europa. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute. Nicht Wirtschaftsflüchtlinge kommen nach Europa, jetzt sind es Kriegsflüchtlinge aus Syrien, Irak, vielleicht auch bald aus der Ukraine.
Die Frage ist mehr als berechtigt: Was ist die richtige Position für unser Land in einer sich dermassen wandelnden Welt, in diesem Europa, in dieser Welt der Globalisierung? Nur nostalgisch den 1. August zu feiern, wird kaum genügen. Ich meine, wir sollten den 1. August nutzen, um die gemeinsame Zukunft zu reflektieren. Das Ergolztal ist nicht mehr das Tal vor 160 Jahren, der Kanton ist nicht mehr der Kanton nach der Trennung und unser Land ist keine Insel in einem neuen Europa. Alleine ist kein Gemeinwesen stark genug – das gilt auch in diesem Zeitpunkt. Bundesrat Burkhalter kann nicht alleine für Ordnung sorgen. Vielleicht helfen uns Gedanken von Carl Spitteler. Carl Spitteler hat vor hundert Jahre gesagt, man solle die schweizerische Position nicht mit fremdem Köpfen denken. Er hat uns alle aufgefordert, selber zu denken. Zu einfach ist es einer allgemeinen Mehrheits-Meinung hinterher zu rennen. Im Dezember 1914 sagte er: „Ich habe wiederholt aus dem Munde von Franzosen die schmerzlich überraschte Frage vernommen: «Was haben wir denn den Schweizern zuleide getan?» Wirklich, ich weiss nicht, was sie uns zuleid getan haben. Wissen Sie’s? Oder hätten wir einen vernünftigen Grund, Frankreich besonders zu Misstrauen? Mehr zu misstrauen als jedem andern Nachbarn? Ich kenne keinen.“ Ich kenne auch heute keinen Grund, den Nachbarn unseres Landes, den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, zu misstrauen. Sie haben nach schrecklichen Kriegen die europäische Integration vorangebracht. Sie haben miteinander die Erfahrung gemacht, dass das Verbindende auch das europäische Gemeinwesen trägt und nicht das Trennende. Sie haben die gleiche Erfahrung gemacht wie die Schweizer Kantone, als sie sich der Eidgenossenschaft anschlossen und das Kriegen beendeten. Sollten wir in diesem Jahr nicht in besonderer Weise daran denken? Das Verbindende bringt ein Gemeinwesen voran. Wer das Trennende immer betont und friedliche Reformen für das Gemeinsame verhindert, verunmöglicht eine gute Zukunft. Immer wenn vorausschauend kooperativ agiert wurde, entwickelte sich Wohlstand, friedliches Zusammenleben und Glück und Freiheit für viele. Das gilt für unser Dorf, für unseren Kanton, für unser Land inmitten von Europa. Ich wünsche Ihnen allen noch eine vorausschauende 1. Augustfeier.