Die direkte Demokratie hat am letzten Sonntag mit der Annahme der Masseneinwanderungsinitiative den aussenpolitischen Vogel abgeschossen. Denn es ging um nicht weniger als um die Verhandlungsfähigkeit und die Verlässlichkeit der Schweiz im internationalen Kontext. Kann man mit der Schweiz langfristige Verträge abschliessen oder wird sie den Vertrag schon nach wenigen Jahren in Frage stellen? Das fragt sich inzwischen die ganze Weltgemeinschaft, sicher aber die europäische Gemeinschaft.
Staatsverträge und das direktdemokratische Referendum
Die aussenpolitischen Angelegenheiten unseres Landes werden vom Bundesrat wahrgenommen. Das Parlament segnet die aussenpolitischen Mandate jeweils ab, ergänzt sie oder stellt sich gegen einzelne Punkte, die durch unsere Exekutive danach verhandelt werden sollen. Dann wird verhandelt und das bestmögliche Resultat angestrebt. Das Resultat muss schliesslich die Mehrheit des Parlamentes hinter sich bringen und wird je nach Staatsvertragscharakter dem obligatorischen oder fakultativen Referendum unterstellt. Am letzten Sonntag haben wir diesen guten Prozess zerstört. Im begrenzten Bereich der Zuwanderung hat die Mehrheit mit „diesem Artikel“ den Bundesrat vorgeführt. Er kann aussenpolitisch nichts mehr verhandeln, er muss vollziehen. Der aussenpolitische Vogel fliegt nicht mehr, er ist abgeschossen.
Gestalten wir die wortbrüchige und verhandlungsunfähige Schweiz?
Im Jahre 1999 hat die Schweiz die ersten Staatsverträge mit der Europäischen Union betreffend der Personenfreizügigkeit unterzeichnet. Sie fanden Unterstützung im Parlament und in der Volksabstimmung. Fünfzehn Jahre später ist alles wieder anders. Wer im internationalen Kontext so politisiert wird als wortbrüchig wahrgenommen. Die Verhandlungsfähigkeit unseres Bundesrates tendiert mit diesem neuen Verfassungstext gegen Null. Heute ist es die Einschränkung der aussenpolitischen Kompetenz bei der Migrationspolitik, was wird es morgen sein?
Verhandeln kann man so nicht mehr
Wenn die StimmbürgerInnen der Schweiz zuerst Staatsverträge mehrmals gutheissen und dann das unverrückbare Nachverhandlungsmandat in die Verfassung schreiben, dann ist eine Verhandlung unmöglich. Oder wie könnte die Schweiz z.B. die Mitgliedschaft in der OECD bewerkstelligen, wenn die Mitgliedschaftsbedingungen in unserer Verfassung stünden? Es geht nicht. Was die knappe Mehrheit hier in die Verfassung geschrieben hat – die Einschränkung der aussenpolitischen Verhandlungskompetenz des Bundesrates – ist eine Sackgasse, die unserem Land nichts bringt. Ganz zu schweigen davon, was wir für eine Verfassung bekämen, wenn diese sektorielle Einschränkung der aussenpolitischen Kompetenz Schule macht.
Das neue Abkommen wird auch die Verfassungsbestimmung erneut klären müssen
Der Bundesart hat einen klaren Auftrag. Bei diesem Auftrag im Bereich der „Migrationspolitik“ ist seine Kompetenz eingeschränkt worden. Es gibt daher nicht mehr viel zu verhandeln. Ein Abschluss eines neuen Abkommens mit der EU ohne Verletzung „dieses Artikels“ ist nicht mehr möglich. Aber natürlich darf man dem Volk auch erklären, dass eine solche Verfassungsbestimmung die Verhandlungsfähigkeit unseres Landes ausser Kraft setzte und natürlich darf man dann nach der Nicht-Verhandlung erkennen, dass diese Nachverhandlungspflicht ohne Verhandlungsspielraum ein verfassungsrechtlicher Fehler darstellt: Er muss korrigiert werden. Eine verhandlungsunfähige Exekutive ist keine Errungenschaft – egal in welchem aussenpolitischen Sachbereich.