1. August-Rede in Reinach BL
Obwohl ich erst vor 25 Jahren in Baselland heimisch wurde, ist mir Reinach seit meiner Kindheit vertraut. Mein Urgrossvater lebte auf dem Hofgut Sternenhof, mein Grossvater war dort aufgewachsen, mein Grossonkel David Nussbaumer bewirtschaftete mit seiner Familie den Hof und wirkte in Reinach auch als Gemeinderat. Anfang der Achtzigerjahre begann dann der Bau der der Schnellstrasse H18 und der Industrie- und Gewerbezone Kägen und der Bauernhof musste weichen.
Reinach war in meiner Jungend auch für eine Nacht meine Heimat. Als Jugendlicher – damals noch wohnhaft im Kanton Zürich – besuchte ich Anfang der Siebzigerjahre mit zwei Schulkollegen das Freundschaftsspiel zwischen dem FC Basel und dem Bayern München. Da wir kein Geld hatten, übernachteten wir im Stroh auf dem Sternenhof. Geschlafen haben wir kaum, das Strohbett nutzten wir nur einen kurzen Moment in jener Nacht. Doch der Sternenhof in Reinach war eine Stück weit eine Heimat, eine Schlaf-Heimat nach einer schönen Fussballnacht.
Das Wesen der Heimat immer wieder neu zu erfassen ist sicher eine Aufgabe an einem Nationalfeiertag. Und Heimat hat viele Facetten.
Mir sind drei Dimensionen der Heimat wichtig.
Erstens: Heimat ist zuerst einmal für alle Menschen ein Rückzug an Orte, mit denen wir ein emotionales Einvernehmen gewinnen können. Zweitens verbinde ich Heimat mit dem Rückbesinnen darauf, was wir Bürgerinnen und Bürger beitragen können, damit Heimat für viele in diesem Land eine emotionale Bindung bekommt und Drittens: Heimat soll nicht als politische Parole missbraucht werden.
Heimat ist Rückzug und emotionales Einvernehmen
Was bezeichnen Sie als Heimat? Dort wo sie als Kind aufgewachsen sind? Aber vielleicht gibt es diesen Ort gar nicht mehr, weil er inzwischen überbaut und anders genutzt wird. Wurde ihnen damit die Heimat gestohlen? Wie geht es den Menschen, die ihr Wohnumfeld, ihre Herkunfts-Heimat wegen einem Krieg verlassen mussten. Was bedeutet diesen Menschen Heimat? Hat Heimat wirklich mit einem realen geografischen Ort zu tun? Oder ist es nicht eher so, dass wir erst später in unserem Leben einen neuen Ort und die dort bestehenden Beziehungen zu Menschen zur Heimat werden lassen.
Heimat hat vor allem mit emotionalen Bindungen und mit Beziehungen zu tun. Sie ist der Ort wo ich mich zurückziehe, wo ich zufrieden bin und auch mich selber sein kann. Heimat ist jedenfalls nicht nur ein geographischer Ort, eingegrenzt mit einer Gemeindegrenze, einer Kantonsgrenze oder eine nationalen Grenze. Darüber sollten wir am 1. August nachdenken: Wo finde ich dieses Heimatgefühl, diese Heimat-Geborgenheit, diese Vertrautheit? Die absolute Heimat gibt es nicht. Für jeden von uns fällt die Antwort etwas anders aus. Viele suchen die Antwort in Ihren Erinnerungen. Doch bei einigen Menschen ist Heimat sogar etwas Zukünftiges. Der Philosoph Ernst Bloch nannte die Heimat eine Hoffnung, deren Erfüllung noch aussteht.
Der 1. August ist gemacht um über Heimat nachzudenken. Und ich denke, wir erkennen leicht, dass Heimat viele Ausprägungen und Facetten beinhaltet und wir alle auch Teil des heimatlichen Erlebens sind.
Mein Beitrag zur Heimatbildung
Während wir zum 722. Mal den Geburtstag der Eidgenossenschaft feiern, kämpfen in anderen Ländern die Menschen für eine Abkehr von Diktaturen, für freie Meinungsäusserung und für mehr Demokratie. Diese Menschen möchten ihr Lebensumfeld mitgestalten, sie möchten in demokratischen Prozessen ihre sich weiter entwickelnde Heimat mitgestalten. Das stellt auch Fragen an uns: Was kann ich beitragen, dass möglichst viele Menschen im politischen System meines Kantons und meines Landes einen Identitätsanker haben? Sie müssen dazu nicht Politikerin oder Politikerin sein um diese Frage zu beantworten. Die Frage stellt sich in jedem Engagement für das Gemeinwesen. Was kann ich in Vereinen, Kirchgemeinden und Klubs beitragen, dass sich Heimat auch für andere bildet?
Denn Heimat bildet sich immer wieder neu, für Menschen die schon lange hier sind und für Menschen die neu zu uns stossen. Natürlich leben einige schon lange hier, sie haben heimatliche Wurzeln geschlagen. Wenn es uns gelingt, offen zu bleiben für Fremde, empfänglich zu sein für das „Andere“, dann hat dieses Wurzelschlagen auch seine Berechtigung. Denn dann kann mein Wurzelschlagen auch eine Einladung sein für andere, ebenfalls Wurzeln zu schlagen. Was trage ich bei, dass dieses gesunde, positive Wurzelschlagen, dieses heimatliche Wurzelschlagen immer wieder für alle möglich wird.
Die (politisch) missbrauchte Heimat
Wenn Heimat mit emotionalen Bindungen zu tun hat und Heimat sich immer wieder neu bildet, dann gibt es daneben auch die missbrauchte Heimat. Der Heimatbegriff wird leider in der Politlandschaft missbraucht. Er findet seine extremste Anwendung im Heimatfundamentalismus. Heimat wird dabei als nationalkonservative Errungenschaft verstanden. Und wer nicht genau dieses Heimatverständnis der politischen nationalen Rechten hat, liegt daneben. Wir merken auch in unserem Land etwas von diesen Fundamemtalismus. Die Vertreter dieser Denkweise beanspruchen das Land, den Kanton als ihre Heimat (weil sie hier aufgewachsen sind) und gehen hart mit Menschen ins Gericht, die nicht hier aufgewachsen sind. Der Heimatfundamentalismus kann extreme Auswüchse haben, aber er beginnt mit verbaler Erniedrigung und Abwertung derer, die nicht schon immer hier waren. Der Heimatfundamentalismus nimmt den Heimatbegriff in Beschlag.
Das „in Beschlag nehmen“ des Heimatbegriffs ist eine politische Flucht vor den Herausforderungen der modernen Zeit. Das Resultat ist erkennbar: Ein solcher Heimatfundamentalismus bekämpft alle anderen und vielfältigen Ideen, wie die europäische Integration, die religiöse Vielfalt, die kulturelle Pluralität – wohlwissend, dass man die Entwicklungen der Globalisierungen trotzdem nicht zurückdrehen kann. Doch mit Schwarzmalerei und mit Angst vor Veränderungen bildet man keine Heimat.
Gute Heimat braucht Mut nicht Schwarzmalerei
Denn Heimat hat nichts mit Ausgrenzung zu tun, sondern sie fördert Geborgenheit, Sicherheit und Vertrautheit. Natürlich könnte Man folgern, gerade darum darf man nichts mehr wagen und es habe keinen Platz für Mut und Risiko.
Doch, man kann sich als Heimat-Gestalter für die Birsstadt-Idee einsetze. Oder ginge durch die engere Zusammenarbeit von Gemeinden die Heimat Reinach verloren? Doch man darf mutig die Fusion beider Basler Kantone zum Thema machen. Sicher müsste man die eigene Heimat-Identität als BaselbieterIn nach der Fusion nicht ablegen.
Nicht in dem man Ideen ablehnt meistert man die Zukunft, sondern indem man sich mit ihnen auseinandersetzt, sie an den heutigen und zukünftigen Herausforderungen misst und bewertet.
Der 1. August ist nicht nur ein Nachdenk- und Feiertag, es ist auch ein Tag für neuen Mut, für ein neues Wagen. Der 1. August soll sicher nicht der Tag der Abgrenzung und des Rückzugs in romantisch verklärte Zeiten sein. Und der 1. August ist auch nicht der Tag für den politischen Missbrauch des Heimatbegriffes.
Ich geniesse den ersten August jedes Jahr. Dieses Fest ist mir wichtig. Der erste August ist für mich aber nicht nur ein privates Familien- und Heimatfest, sondern es ist auch eine institutionalisierte Aufforderung, einen Beitrag zu leisten, für eine heimatliche Gemeinschaftserfahrung für viele. Der 1. August soll darum auch kein Tag für Heimatfundamentalisten sein, sondern der Tag für Mutige und Zukunftswillige.
Heimat entsteht immer wieder neu. Heimat ist dort, wo nicht jeder nur für sich selber und seine eigenen Interessen schaut, sondern wo alle mitmachen und partizipieren können. Dort wo Sie in Reinach und in dieser Region mitmachen, dort wo wir alle mitmachen, entsteht heimatliche Identifikation.
Ich wünsche Ihnen allen eine schönen 1. August.